Auf TikTok verbreiten sich aktuell zahlreiche Videos, in denen junge Männer durch markante Outfits und dramatische Posen Aufmerksamkeit erregen. Sie inszenieren sich als „starke“ Figuren, boxen in die Kamera oder werfen coole Sprüche. Der sogenannte „Talahon“-Trend begeistert viele Jugendliche und führt zugleich zu Diskussionen über Rollenbilder und Vorurteile. Wir erklären, was hinter dem Phänomen steckt, und welche Herausforderungen es birgt.
Der „Talahon“-Trend dreht sich um eine spezielle Art von Videos auf TikTok, in denen sich meist junge Männer mit Migrationshintergrund in auffälligen Outfits präsentieren: Jogginghosen, Marken-Accessoires wie Bauchtaschen von Gucci, weite T-Shirts und auffälliger Schmuck. Der Begriff „Talahon“ leitet sich vom arabischen Ausdruck „taeal huna“ (تعال هنا) ab, was „komm her“ bedeutet. Bekannt wurde der Begriff durch den Song „TA3AL LAHON“ des Rappers Hassan, der das harte, urbane Leben thematisiert und häufig in diesen Videos als Hintergrundmusik dient.
Doch „Talahon“ ist mehr als nur visuelle Selbstinszenierung. Für viele Jugendliche symbolisiert dieser Trend Stärke und Anerkennung. Besonders bei jenen, die sich zwischen unterschiedlichen Kulturen bewegen. Der Stil ist teils humorvoll und ironisch, wird jedoch oft auch als Ausdruck von Stolz und Zugehörigkeit interpretiert. Zugleich bietet der Trend ein Ventil für den sozialen Druck und die Vorurteile, denen diese Jugendlichen ausgesetzt sind.
Der Reiz des Trends liegt in der Suche nach Identität und Zugehörigkeit, die in der Jugendphase besonders prägend ist. Viele Jugendliche sehnen sich nach Anerkennung und einer Möglichkeit, sich in sozialen Medien und vor Gleichaltrigen abzuheben. Der „Talahon“-Stil vermittelt Stärke und Rebellion. Er erlaubt Jugendlichen, sich jenseits klassischer Rollenbilder zu inszenieren. Studien zeigen, dass Jugendliche oft experimentieren, um verschiedene Rollen und Zugehörigkeiten auszuprobieren – und TikTok bietet hierfür eine perfekte Bühne.
Die Darstellung ist jedoch nicht nur Selbstdarstellung: „Talahon“ verkörpert für viele den Wunsch nach Anerkennung in einer Gesellschaft, in der Jugendliche mit Migrationshintergrund zwischen unterschiedlichen Kulturen leben und oft mit Vorurteilen kämpfen. Der Trend wird daher auch als Ausdruck von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit wahrgenommen
Der „Talahon“-Trend ist mehr als eine jugendliche Stilbewegung – er verstärkt teils stereotype Vorstellungen und kann dadurch bestehende Vorurteile gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund befeuern. Die stereotype Inszenierung von „harter Männlichkeit“ in diesen Videos, oft mit aggressiven Gesten und rebellischem Auftreten, suggeriert ein bestimmtes Bild von migrantischen Jugendlichen, das in der Öffentlichkeit leicht missverstanden werden kann. Gerade für jüngere Zuschauer*innen, die solche Darstellungen als Vorbilder sehen, birgt dies das Risiko, einseitige Rollenmuster als „echte“ Männlichkeitsbilder zu übernehmen.
Ein weiteres Problem ist die zunehmende Instrumentalisierung des Begriffs „Talahon“ in politisch rechten Kreisen. Ursprünglich humorvoll verwendet, wird er heute oft als abwertend gebraucht und als Sammelbegriff für Klischees über „Problemjugendliche“ oder „Integrationsunwillige“ herangezogen. Rechte Gruppen nutzen diese Videos gezielt, um ein negatives Bild von migrantischen Jugendlichen zu verbreiten und gesellschaftliche Spannungen zu schüren. Durch die stereotype Darstellung in „Talahon“-Videos entsteht ein verzerrtes Bild, das Jugendliche pauschalisiert und ihnen problematische Eigenschaften zuschreibt – von „Gefährlichkeit“ bis hin zu „sozialer Integrationsunwilligkeit“. Diese Inhalte werden in sozialen Medien oft mit rassistischen Kommentaren unterlegt, die Forderungen nach Abschiebungen und Pauschalverurteilungen beinhalten.
Die klischeehafte Darstellung verleitet manche Jugendliche mit Migrationsgeschichte dazu, sich diesem Rollenbild anzupassen, um Anerkennung und Zusammengehörigkeit zu finden. Langfristig kann das ihre Identität einschränken und ihr Außenseitergefühl verstärken. Gleichzeitig kann dies zu Vorurteilen in der Gesellschaft und Diskriminierung führen.