Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Dr. Daniel Hajok.
Mit dem Eklat um Farid Bang und Kollegah bei der letzten ECHO-Verleihung ist der Gangster-Rap wieder in die öffentliche Diskussion gelangt. Eltern, die bei ihren Kindern nur allzu oft eine Begeisterung für Hip-Hop beobachten, fragen sich angesichts der monierten krassen Texte, ob das, was heute vor allem via YouTube, Ohrenstöpsel und Konzertbesuche zur Jugend dringt, nicht doch eine ernste Gefahr fürs Heranwachsen ist.
Mit seinen Wurzeln in den afroamerikanischen Ghettos der USA ging es im Hip-Hop schon in den 1970er-Jahren um ‚harte Themen‘, um gesellschaftliche Missstände, soziale Ungleichheiten und anderes mehr. Künstlerisches Ausdrucksmittel war von Beginn an nicht nur die Wortgewalt des Sprechgesangs (Rap), auch das DJing, Breakdancing und Graffiti förderten den Aufstieg des Hip-Hop zu einer bedeutenden Subkultur, mit der sich zunächst die sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen US-amerikanischer Großstädte identifizierten.
Kommerziellen Erfolg und Popularität über die Landesgrenzen hinaus erreichte Hip-Hop, als die Rapmusik auf Tonträger und ins Radio kam. Schnell wurde so auch die Begeisterung der Jugendlichen in anderen Ländern geweckt: Hip-Hop mauserte sich weltweit zur wichtigsten musikbezogenen Jugendkultur – und ist dies bis heute geblieben. In Deutschland bildete sich die Szene in den 1980er-Jahren heraus. Die Anhängerschaft wuchs in der folgenden Zeit weiter an und in den 1990er-Jahren hatten die ersten Rapper mit deutschsprachigen Texten großen kommerziellen Erfolg.
Viele Eltern sind beim Hören der Texte von Kollegah, Bushido & Co. entsetzt. Dennoch ist Gangsta-Rap längst auch in Deutschland ein sehr bedeutendes und zugleich jugendaffines Hip-Hop-Genre. Stilmerkmale sind eine krasse Sprache und ein von ‚männlicher Härte‘ geprägtes Gebaren der Protagonisten. Zwar dreht sich auch hier einiges um gesellschaftliche Missstände und soziale Ungleichheiten, im Mittelpunkt steht aber oft die Inszenierung der Stars der Szene mit Dingen, die man mit Blick auf die eigenen Kinder nun wirklich nicht will: Gewalt und Kriminalität, Abwertung Schwächerer und Aufwertung des Egos mit Macht und Status an sich.
Die deutschen Gangster-Rapper haben oft Migrationshintergrund und in ‚Problemvierteln‘ unserer Großstädte Ausgrenzung und Desintegration erfahren. Das Identifikationspotenzial ist also für Jugendliche mit ähnlichen Erfahrungen besonders hoch. Der kommerzielle Erfolg des Gangster-Rap geht nicht zuletzt auf die zunehmende Begeisterung bei Jugendlichen aus ‚gutem Hause‘ zurück. Auch hier mögen viele die fetten Beats und die Wortgewalt der von Geld, Autos und Frauen umgebenen Stars. Per Gangster-Rap können sie jederzeit in die faszinierende Welt von ‚Sex and Crime‘ eintauchen und sich so von ihren Eltern abgrenzen.
Gangster-Rap bietet unseren Kindern oft sehr fragwürdige Identitätsentwürfe. Er beeinflusst sie aber nicht per se negativ. Ebenso übernehmen die meist jugendlichen Fans die transportierten Werte, etwa von der Macht des Stärkeren und Frauen als Sexobjekt, nicht eins zu eins in ihr Leben. Vielerorts regen die Texte auch zur kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst an und eröffnen Diskussionen in der Clique zu sozialen Missständen und Kriminalität in problematischen Großstadtmilieus.
Ein besonderes Gefährdungspotenzial hat Gangster-Rap dann, wenn er mit seiner Musik und dem verbalen Kräftemessen der coolen Stars Jugendliche anspricht, in den Texten und Videoclips aber Gewalt, kriminelle Lebensstile, Drogenkonsum, Homophobie und Frauenverachtung als nachahmenswert und Erfolg versprechend darstellt – und eben nicht kritisch hinterfragt werden. In diesen Fällen können Jugendliche durchaus in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigt oder sogar gefährdet werden.
Auch beim Gangster-Rap stehen Sie vor der Schwierigkeit, ihren Kindern die Vorlieben nicht unreflektiert ‚madig zu machen‘ und dennoch eine klare eigene Haltung zu zeigen. Um sich dieser bewusst zu werden, sollten Sie sich zunächst fragen: Mit welcher Musik habe ich mich damals von meinen Eltern abgegrenzt? Wie stehe ich zu den Darstellungen von Gewalt, Kriminalität und Diskriminierung? Welche negativen Einflüsse auf die Entwicklung meines Kindes befürchte ich? Kann ich ihrer/seiner Vorliebe auch etwas Positives abgewinnen?
Auf alle Fälle sollten Eltern den Umgang ihrer Schützlinge mit Musik nicht gänzlich aus dem Auge verlieren, ihn sogar zum Anlass für Gespräche nehmen. Was mag mein Kind überhaupt am Gangster-Rap – und was nicht? Wie steht es selbst zu den Texten und den Bildern der Clips? Um den eigenen Kindern die Grenzen des Tolerierten aufzeigen und im Alltag auch durchsetzen zu können, sollten Sie als Eltern auch die wichtigsten gesetzlichen Regeln kennen und von den Möglichkeiten eines angemessenen erzieherischen Umgangs wissen. Hierfür bieten sich z.B. die Aufbereitungen zum Thema durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) an.
Zum Autor:
Dr. Daniel Hajok ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler. Er arbeitet als Gutachter, Empiriker, Seminar-/Workshopleiter und Fachautor. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Medien, Gesellschaft und Soziale Arbeit, Kinder- und Jugendmedienschutz, medienpädagogische Forschung und Praxis.